Sage und schreibe

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petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich auf theoretischer Ebene den Gedanken dieser Sinnhaftigkeit noch einmal aufgreifen möchte.

Mir scheint nämlich, diese Vorstellung, dass die Sinnhaftigkeit durch nachfolgende oder auch parallele Ereignisse zunichte gemacht werden könnte, der Knackpunkt der unterschiedlichen Auffassung zu sein. Das hat ganz unreligiös mit dem Luther-Apfelbäumchen zu tun, aber auch mit dem Gedanken, dass man mit dem Tun die Sinnhaftigkeit erfüllt und sie dann loslassen muss.
Ich habe da ein sehr persönliches Beispiel, wo es um etwas anderes geht, aber doch diese Sinnhaftigkeit auf praktischer Ebene eine Rolle spielt. Im Januar 1983 liess sich meine Mutter ihre Zähne machen, damals noch nicht so teuer wie heute, aber dennoch eine Quälerei. Im Februar d.J. war sie tot. Nun könnte man sagen, das ist ja etwas ganz anderes, aber ich glaube eben nicht. Wir wollen gerne, dass die Sinnhaftigkeit über uns hinausgeht, aber den Gefallen kann sie uns nicht tun. Ich sehe schon die ganz anders gelagerte Tätigkeit bei Dir, die ausgeübt wird wegen der Wirkdauer der Sinnhaftigkeit, und gerade das scheint mir die Vanitas zu sein. (Das wollte ich nur loswerden, müssen wir nicht vertiefen)

Liebe Grüße
Petra
 
Man kann durchaus beim Thema Sinnhaftigkeit mit dem Begriff Vanitas operieren, liebe Petra. Nur bleibe ich dabei, dass es da sehr verschiedene Grade und Zusammenhänge gibt. Es führt nicht weit, wenn wir insoweit private Schicksale und die allgemeine Historie aus der gleichen Perspektive betrachten. Ich habe oben nicht zufällig zwei Einträge aus 1997 und 2023 kombiniert. Was 1997 naheliegend erschien, war nicht von vornherein eitel, sondern es wurde möglicherweise eitel durch eine politische Entwicklung, die weder vorherzusehen war noch gesetzmäßig so eintreten musste.

Zur Erläuterung dieser Problematik zwei Fallbeispiele: 1. Mein Vater heiratete Anfang 1944 im Fronturlaub und machte sogleich sein notarielles Testament, um meine Mutter materiell abzusichern. Das Testament blieb gültig bis zu deren Tod 2019 und entfaltete dann die beabsichtigte Wirkung. Beide hatten ihren Wohnsitz permanent nahe der deutschen Westgrenze. - 2. Wer zwölf Monate später nahe der damaligen Ostgrenze angesichts des Vormarschs der Roten Armee statt an die Flucht nach Westen vor allem an einen Notartermin in Königsberg oder Danzig gedacht hätte, dem hätte man schon damals mit Vanitas kommen können.

Wir können es damit bewenden lassen. Ich bin halt etwas empfindlich gegen einen Gebrauch des Begriffs, wenn er mir eine Tendenz zum Apolitischen und Ahistorischen aufzuweisen scheint.

Liebe Grüße
Arno
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

jetzt bin ich erschrocken - ich meinte nicht den Aspekt der Eitelkeit mit Vanitas, sondern den der Vergeblichkeit.
Aber ja, ich argumentiere ahistorisch und apolitisch, weil aus dieser Perspektive eine Klarsicht möglich ist, die die reine Faktenbasis oft nicht geben kann.
We agree to disagree.

Schönen Abend noch und liebe Grüße
Petra
 
ich meinte nicht den Aspekt der Eitelkeit mit Vanitas, sondern den der Vergeblichkeit.
Und ich, liebe Petra, benutzte vorhin den Begriff Eitelkeit nur als Synonym für Vergeblichkeit, entsprechend diesem Wikipedia-Zitat:

Eitelkeit hat auch die abweichende, ursprüngliche, aber heute veraltete Bedeutung: Vergänglichkeit, Nichtigkeit, Leere und Vergeblichkeit (vgl. engl. idle oder dt. etwas vereiteln). Insbesondere im Barock war das Lebensgefühl der Vergänglichkeit (siehe z. B. das Barocksonett Es ist alles eitel) jedes irdischen Strebens eines der zentralen Motive der Literatur.

Bei Klarsicht und ihren Voraussetzungen könnte man ein neues Fass aufmachen - lieber nicht.

Gute Nacht nun
Arno
 
LII. Gefangen im Lift - Protokoll einer Zwangslage


10.05 Uhr im Bahnhof von F***: Wir betreten mit drei weiteren Personen den Lift, der vom Bahnsteig abwärtsfährt. Allein hätte ich die Treppe genommen, doch Sascha kann mit seiner Kniearthrose schlecht Stufen hinabgehen.

10.06 Uhr: Ein kaum merkliches Bremsen und der Lift hält plötzlich in seinem Gleiten inne. Wir scheinen alle verblüfft und sehen uns um. Die verglaste Kabine ist auf halbem Weg zwischen Bahnsteig und Unterführung steckengeblieben. Wir können direkt auf den langen Gang mit den vielen Menschen hinuntersehen.

10.07 Uhr: Von links tastet sich die Hand des mittelalten Mannes vor und betätigt den Notrufknopf. Das ältere Paar hinter mir wechselt ein paar Worte auf Polnisch. Sonst betretenes Schweigen.

10.08 Uhr: Ich nehme erste Anzeichen von Nervosität bei Sascha wahr. Hoffentlich gerät er nicht in Panik. Die anderen warten weiter geduldig schweigend. Ich gehe einen Schritt nach links, stehe nun genau vor der Schalttafel und drücke auch den Alarmknopf. Eine Reaktion bleibt weiter aus.

10.09 Uhr: Ich drücke den Knopf erneut, wieder ohne erkennbaren Erfolg. Verlegenes Gemurmel zwischen uns fünfen in der engen Kabine: Braucht seine Zeit … Allmählich könnte was passieren …

10.10 Uhr: Die Notrufzentrale meldet sich. Ich darf die misslichen Umstände durchgeben. Wie viele Personen? Sind alle wohlauf? Man wird die Rettung veranlassen.

10.11 Uhr: Bis auf weiteres bleibt alles so, wie es ist.

10.15 Uhr: Ich löse noch einmal den Alarm aus. Der Apparat bleibt weiter stumm.

10.17 Uhr: Zu unserer Zerstreuung nehmen wir Blickkontakt zu Passanten unten auf. Ich gestikuliere und grimassiere ein wenig. Manche bleiben vorübergehend stehen, stutzen, gehen weiter. Ob einer unsere Notlage irgendwo meldet?

10.19 Uhr: Wieder die weibliche Stimme aus dem Apparat, die Feuerwehr sei alarmiert und zur Rettung unterwegs.

10.22 Uhr: Uniformierte Männer treffen unten in der Passage ein, machen sich an die Arbeit.

10.23 Uhr: Der Fahrkorb ruckelt ein wenig.

10.24 Uhr: Wir gleiten abwärts, kommen in der Passage zum Stillstand. Die Lifttür bleibt leider verriegelt.

10.25 Uhr: Wir schauen zu, wie die Kabinentürflügel mühsam per Hand auseinandergeschoben werden.

10.26 Uhr: Wir sind befreit, bedanken uns im Vorbeigehen, hören einen Feuerwehrmann sagen: Der hat wieder mal Ärger gemacht ...

15.45 Uhr: Unser Zug zurück geht vom selben Bahnsteig. Der Lift von heute Morgen gleitet auf und ab. Ich schlage vor, ihn wieder zu nehmen, aber Sascha lehnt ab und quält sich lieber die Steintreppe hinauf.
 

John Wein

Mitglied
Wertester,
Deutschland 2024! Vielleicht könnte man das literarisch noch ein bisschen aufpeppen, dann käme der Sarkasmus noch besser rüber.
Ich grüße und wünsche allzeit gute und freie Fahrt zwischen oben und unten sowie andersrum.
JW
 
Danke, John, für Rat und gute Wünsche. Gewiss, ein Text über eine Liftblockade kann noch effektiver ausgestaltet werden als hier geschehen. Ich wollte jedoch recht nah am reinen Ablauf bleiben und habe das Ergebnis bewusst in der Sparte Tagebuch veröffentlicht. Der Vorfall ist an sich ja nicht besonders spektakulär.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
LIII. Mühsame Heimfahrt


Die letzte Stunde fällt ihm schwer: Muskel- und Gelenkschmerzen wie noch nie. Doch den Vier-Uhr-Bus will er möglichst nicht verpassen. Alles ist durchgeplant, zu kurz kommen daher heute die Eindrücke von Landschaft und Dörfern der Uckermark.

Geschafft - zweiundzwanzig Kilometer in fünf Stunden und zehn Minuten! Und gerastet wurde eben nur in diesen zehn, beim Mittagsimbiss aus dem Rucksack. Jetzt geht der Bus in wiederum zehn Minuten, die Zeit reicht gerade noch für vier kleine Waffeln. Den mitgeführten Kaffee will er später im Zug trinken. Der Bus kommt, erreicht Joachimsthal pünktlich – aber dann die Durchsage: Wegen Reparatur am Fahrzeug fällt der Zug heute leider aus ... Eine Stunde Zwangsaufenthalt! Doch wird sie recht angenehm auf einer Bank zugebracht, mit Blick über das weite grüne Seebecken, während er den Kaffee aus der Thermoskanne – nun ja, genießt.

Er bekommt noch Gesellschaft. Die alte Frau geht sehr mühsam am Rollator und lässt sich neben ihn fallen. Hier sei es viel schöner, meint sie und weist auf die grüne Kulisse. - „Schöner als …? Wo wohnen Sie denn?“ - Es ist eine Berliner Randgemeinde und die alte Frau wird sie bald verlassen: „Ich habe mir hier eine Zwei-Raum-Wohnung gemietet“, sagt sie fröhlich. - „Aber die Infrastruktur, viel weniger Geschäfte und vor allem Ärzte …“ - „Es gibt ja zwei oder drei Ärzte.“ - „Und bekommt man Termine, wird man als Patient angenommen?“ - Über den Ärztemangel hat sie noch nicht nachgedacht und er bewundert ihre resolute Sorglosigkeit.

Umsteigen in Eberswalde. Es zeigt sich, die Joachimsthaler Entspannung kann er gut gebrauchen. Er erfährt, vor Berlin sei die Oberleitung gerissen und der Zugverkehr dahin unterbrochen. Er sitzt dann in einem Pendelzug, der ihn seinem Ziel immerhin ein Stück näherbringen wird. Das Gestammel des Zugbegleiters aus dem Lautsprecher endet mit Verweis auf den Navigator. In Bernau müssen alle aussteigen und werden zur S-Bahn gewiesen. Sie soll allerdings nur zwei Stationen weit fahren, in Zepernick stünden Ersatzbusse bereit. Er sinkt drinnen auf einen Platz nieder, schicksalsergeben. Wann wird er endlich daheim sein?

Da, die erlösende Durchsage des Lokführers: „Ich höre gerade, wir können als erste Bahn wieder durchfahren.“ Im Zug braust großer Jubel auf. Unterwegs erhascht er einen Blick auf die Havarie: Da hängt bei Röntgental – möchte einer in einem Ort namens Röntgental leben? -nur kleines Stück Stromleitung herab, wie eine fallengelassene Masche, und noch kein Reparaturtrupp am Werk. Der Unglücks-ICE ist zur Station Buch zurückgefahren, unser Reisender sieht dort Uniformierte gerade die Lok fotografieren. Später wird er lesen, es seien an die vierhundert Passagiere aus ihm evakuiert werden.

Im Rückblick erweist die erste Zwangspause sich als Glücksfall. Ohne sie wäre die Rückfahrt mit zweimal weiterem Umsteigen noch mühsamer gewesen. Zepernick und überfüllter Ersatzbus blieben ihm erspart. Scheinbares Ungemach war also Segen. Soll man es gelegentlich mit Fatalismus versuchen?
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

das sind ja wieder Erlebnisse aus dem Leben gegriffen.
Schon beeindruckend, wie er sich fit hält - mir kommen diese Tagesausflüge sehr sinnvoll vor - und vorbildlich geradezu.

Bei der Begegnung mit der Rollatorfahrerin musste ich schmunzeln - da sind ja wirklich Welten aufeinander geprallt. Ich habe nur die Erfahrung gemacht, dass die Menschen, die sich mit einer gewissen Sorglosigkeit ihren Zielen annähern, auch mit den Problemen besser klarkommen, die der gut Vorbereitete kommen sieht und im Vorhinein berücksichtigt. Das ist nicht jedem gegeben, mir auch nicht. Aber ein bisschen Fatalismus in sein Leben zu lassen, ist sicher nicht die schlechteste Idee,
Wieder gerne geglesen.

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, Petra, für die Aufmerksamkeit. Ja, mir imponieren behinderte alte Menschen, wenn sie sich dennoch frohgemut zeigen und Initiativen entwickeln und verfolgen. Das kann die eigene Stimmung heben. Im ersten Zug waren wir (die alte Dame und ich) getrennt worden, als sie sich in der speziellen Ecke für Rollstühle usw. niederließ, in die ich nun mal nicht gehöre. Bei dem Umsteigegewusel später entdeckte ich sie von fern, sie hatte schon neue Kontakte geknüpft und auch Hilfe gefunden.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

John Wein

Mitglied
Lieber Wandergesell,
Du erlebst (von Leben), was du glaubst und was du glaubst bestimmt, wie du das Leben empfindest. Mit 4 km/h erlebt man die Welt. Das Wandern öffnet dir die Augen und du siehst plötzlich die Dinge im Großen wie im Kleinen authentisch und unmittelbar. Alles wird eins: denken, sehen, fühlen. So wird das Gehen zum Erlebnis (wieder von Leben).
Ich bin gern mitgegangen.
Gruß, John W.
 
Eine schöne und interessante Theorie, John, danke. Ob ich ihr immer entsprechen kann? Tatsächlich hapert es bei mir selbst beim Wandern mit der Einheit von Denken, Sehen und Fühlen. (Es war immer schon so, auch in anderen Umgebungen als jetzt.) Ausschnittweise erlebe ich es schon so, wie von dir formuliert. Aber oft und lange lasse ich mich vom Rhythmus des Gehens und von der besseren Sauerstoffversorgung zu intensivem Durchdenken ganz anderer Sachverhalte verführen, als die sind, die gerade am Weg liegen.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
LIV. Kleines Abenteuer im Wald


Wann bin ich das vorige Mal in diesem Wald gewesen und seitdem nicht wieder? Vor zehn Jahren, vor zwölf Jahren? Ich komme rasch auf dem schmalen, schattigen Talweg voran, froh, der Hitze entronnen zu sein. Den neuen Zaun zu meiner Linken – dort senkt sich das Gelände zum Bach hin – nehme ich kaum wahr; er reicht mir nur bis zur Mitte des Oberschenkels.

Auf einmal rast ein Hund aus der Tiefe des befriedeten Terrains heran, ein weißer Hirtenhund. Er bellt wütend, streckt den Kopf über den Zaun in meine Richtung, zeigt die Zähne. Er will mich unbedingt weghaben. Schon recht, ich drücke mich an die andere Pfadseite und gehe eilig weiter. Der Hund lässt sich dadurch nicht beruhigen. Er verfolgt mich auf seiner Seite, drückt sich immer wieder gegen den Zaun, tobt geradezu. Das Zaunende ist nicht in Sicht.

Was beginnen, wenn er über den Zaun setzen sollte? Ich sehe mich auf dem Boden nach einem geeigneten Stock um. Da liegt ein großer Ast, den ich ergreife. Ich will ein passendes Stück abbrechen. Es misslingt, so viel Kraft habe ich jetzt nicht, Zeit und Geduld auch nicht. Ich schleppe also den ganzen Ast mit mir. Fafner und Fasolt kommen mir kurz in den Sinn - unpassender Vergleich, ich sehe es ein. Der Hund wird immer wütender.

Sein wachsamer Zorn wird verständlich, als ich nach ein paar Hundert Metern das Ende des Zauns erreiche. Dicht an ihm lagert friedlich eine Ziegenherde, die sich vor der Mittagshitze dort in den tiefsten Schatten zurückgezogen hat. Es sind viele schneeweiße Jungtiere dabei. Ich würde mich jetzt gern hinstellen, das bukolisch-friedliche Bild auf mich wirken lassen. Stattdessen ziehe ich schnell weiter, letztes Gebell hinter mir lassend.

Wegen der Wölfe und der vielen Risse neuerdings wird der Hund wohl gehalten. Er versieht sein Amt gut, er ist tüchtig. Meine innere Einstellung ihm gegenüber wird schon positiver. Ich werfe den Pfahl ins Gebüsch – und erschrecke: Meine Hände sind stark blutverschmiert. Wahrscheinlich habe ich mir beim Hantieren mit dem Ast eine Risswunde zugezogen und sehe jetzt aus, als käme ich von einer Bluttat. Ich lasse es gerinnen. Soll die Sonne es später wegtrocknen.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

so theoretisch ist man sich solch einer Situation bewusst, aber man bekommt beim Erleben eben nicht die ganze Geschichte auf einmal serviert, sondern muss sie aus der Beobachtung heraus dann selbst schreiben.
Fafner und Fasolt muss ich jetzt mal googeln ... gerne gelesen und mitgelitten :)

Liebe Grüße
Petra
 
Danke, liebe Petra, und wieder willkommen hier nach deiner Rückkehr. Die gar nicht so kurze Pause hat dir hoffentlich gutgetan.

Was das Erleben einer solchen Situation angeht: Man "schreibt" (im Sinne von resümiert) erst gegen das Ende hin und erst recht danach. Während des Ablaufs fühlt man sich vor allem als Objekt innerhalb einer Handlung, die man noch nicht recht überblickt oder versteht. Unangenehmes Gefühl, noch unangenehmer, dass diese Grundsituation im Leben überhaupt gar nicht so selten ist.

Liebe Grüße
Arno
 

John Wein

Mitglied
Ja mein Lieber, da hattest du ein schreckhaftes Erlebnis, von dem ich auf den verschiedenen Pilgerwegen auch berichten kann. Es ist, wie du schreibst, die natürliche Aufgabe eines Hundes, über sein Territorium zu wachen und es zu verteidigen.
Icch habe das unterwegs in Spanien oft erlebt, denn in den weit abgelegenen Dörfern sind die Anwesen oft tagsüber verlassen und die Tiere sind die Wächter. Wenn ich dann Gekläffe hörte, wusste ich immer, da sind Pilger voraus und habe dann auch die Teleskopstöcke immer bereit gehabt.
Aber oft waren die Hunde auch sehr lieb zu mir. Einmal musste ich mitten durch eine Schafherde, die lediglich von einem Hund geleitet wurde und es war mir zwar mulmig, aber der Hund kümmerte sich garnicht um mich.

Ein anderes Mal im Kantabrischen Gebirge:
org. Camino Primitivo:
In Montefurado, dem ausgestorbenen Weiler auf der ersten Alm, mache ich die verdiente Pause. Ein Mastiff, groß wie ein Kalb, gesellt sich zu mir. „Es el guardián en contra les lobos“ hatte mir später der Wirt in Berducedo erklärt, er sei der Wächter des frei umherziehenden Viehs gegen Bären oder die zahlreichen asturischen Wölfe. Mein Mistrauen ist unbegründet, der Hund mag meine Geschichten. Ein bisschen aber mag er auch meine leckere Chorizo.


LG, John
 
Danke, John, für diese Mitteilungen. Tatsächlich hatte ich mich manchmal bei der Lektüre deiner Notizen schon gefragt, wie es denn insofern beschaffen gewesen sein mochte. Nach meinem eigenen Eindruck kann man von Region zu Region die unterschiedlichsten Erfahrungen machen. Die Hauptgefahren gehen nicht von Hirtenhunden aus, sondern von freilaufenden Hunden in relativ dicht besiedelten ländlichen Gebieten. Sie verteidigen gar nichts, sondern brechen aus nicht umfriedeten Privatanwesen aus, um sich einfach mal auszuleben, d.h. auszutoben. Die größten Probleme hatte ich auf diese Weise an der österreichischen Südgrenze (zu Slowenien). Die Gleichgültigkeit der Hundebesitzer und Eigentümer der Grundstücke grenzt oft ans Asoziale. Aber, wie gesagt, die Verhältnisse sind je nach Region sehr verschieden, abhängig von der inneren Einstellung einer Mehrheit der Halter jeweils dort. Hier oben im Nordosten Deutschlands mache ich kaum einmal schlechte Erfahrungen.

Schöne Abendgrüße
Arno
 
LV. Ein Schloss in Ostdeutschland


Da ist das Dorf mit dem berühmten Wasserschloss, zwei Stunden bin ich bis hierher gegangen. Sieht man nicht schon den Schlossturm? Was ich zuerst erblickt habe, stellt sich als Teil einer Fabrik heraus – ausgerechnet Beton produzieren sie hier. Lugt dann doch der Ausguck des Schlosses über die lange Häuserzeile der Dorfstraße?. Ich weiß schon, dass es privatisiert und nicht zu besichtigen ist, doch im Park soll man sich ergehen dürfen. Hinter den Häusern ist seine grüne Baumwand sichtbar. Wo ist nun der Einlass?

Der Text auf einer großen Tafel scheint den Weg zu weisen: Schloss-Hotel und Restaurant. Es ist Mittagszeit, auf dem Parkplatz sind einige Autos abgestellt – vielleicht auf unbestimmte Dauer. Der Parkplatz wirkt vernachlässigt, Gras breitet sich aus. Ist der schmale, kaum wahrnehmbare Pfad ins Gebüsch dahinter ein Fußweg zu Hotel und Restaurant? Ich denke an die Zecken und suche lieber den vermuteten Haupteingang.

Dazu biege ich um eine Straßenecke und stehe bald im alten Gutshof, der hier auch die Rolle eines Ehrenhofs zu übernehmen scheint. Die Gebäude befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Sanierung oder des Verfalls. Das ergibt ein fahlscheckiges Bild, von dem ich mich abwende und rasch dem deutlich zwischen zwei hohen Torhäusern sichtbaren Schloss zustrebe, erwartungsvoll. Noch eine Tafel, die informieren will: Keine Haftung im gesamten Parkgelände! Mutig dringe ich dennoch vor, komme nur nicht weit. Der Weg führt über eine Kanalbrücke, die wegen Baufälligkeit für jedes Passieren gesperrt ist. Das Hotel? Gibt es wohl längst nicht mehr.

Ich fand hinter den letzten Häusern des Guts noch einen bescheidenen Durchlass, fast hätte ich ihn übersehen. Der Park erwies sich sogar als leidlich gepflegt. Gleich vorne am See saß ich auf einer Bank und stärkte mich an Mitgebrachtem. Der Blick ging übers Wasser auf die kleine Insel, da war ein großes Häuschen für Enten; nur war keine einzige zu sehen. Es war überhaupt sehr einsam und vollkommen still im Park. Einmal führte eine alte Frau einen großen schwarzen Hund am dunklen Wasser aus. Der Hund inspizierte die Abfallkörbe, fand jedoch nichts Verwertbares in ihnen. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich das verwaiste Schloss betrachten: klassizistisch war es und auch ein bisschen neogotisch.

Auf den großen Parkrundgang verzichtete ich lieber und auch auf jede weitere Annäherung an das Schloss – es war schon Zeit für den Rückweg. Im Netz würde ich mir dann am Abend gründlich ansehen, woran ich tagsüber nur vorbeigeeilt war, wie üblich ...

… und ich wurde fündig. Es gibt zum Schloss Kropstädt viel Material, auch einen Wikipedia-Artikel. An dessen Ende findet man einen überraschenden Link zum Fürstentum San Bernardino: The Principality of San Bernardino is really, therefore the first International State, better still intercontinental. It has or will have territories in all five continents. Falls einer von ihm noch nie gehört hat, die Wissenslücke lässt sich nun leicht schließen und davon ausgehend noch mehr erstaunliche Entdeckungen machen.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

Du bist ja ein richtiger Entdecker ... ich dachte, Du würdest eher 'schöne' Orte bzw. die Natur aufsuchen. Erinnert ein bisschen an diese Doku-Reihe Lost Places ... muss mal gleich bei Wikipedia schauen.

Liebe Grüße
Petra
 

John Wein

Mitglied
Werter Wanderer,
Dein kleiner Ausflug galt nicht nur deinem Genusse und der Erholung, sondern auch einer interessanten Geschichte. Das morbide Gemäuer von Schloss Kroppstädt erinnert, wie viele ähnliche Liegenschaften im Osten, an eine Zeit, die einmal weniger schnelllebig und hektisch, aber geordneter und authentischer war, als die heutige.
Deine Schilderung ist für mich eine frühe Kindheitserinnerung zu Besuch im Dorf der Gromutter im Anhaltinischen. Dort gab es auch ein altes, mauerumfriedetes und eingewachsenes Gut mit verwildertem Park, hohen Buchen und aller Natur überlassenen Gestaltungsmuster, der uns immer so ein bisschen unheimlich und mit allerhand Geraune versehen, vorkam; wie ein richtiger Abenteuerspielplatz ganz ohne Möblierung. Nostalgie hin und her, ein jeder erinnert sich gern an seine unbeschwerte Kindheit.
Wie ich gelesen habe, hat die Verwahrlosung von Kroppstädt seine sehr eigene Geschichte, weil der heutige Eigner bis dato nichts gegen den Verfall unternommen hat. Und so harrt unser Dornröschen hinter dicken Mauern und wilden Brombeerranken, weiter seiner Erlösung durch eines Prinzen Kuss. Du hättest es ja mal versuchen können! Vielleicht, ja vielleicht.....
Danke Arno, mit Gruß,
John
 



 
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